Dienstag, 13. März 2012

Die Heiligkeit der Welt

Buddhisten, die den Vajrayana praktizieren, bewegen sich durch eine dynamische Welt reiner Sinnlichkeit, klare Weite, die erfüllt ist von fließenden, Muster bildenden Energien. Die Welt, das ist das Spiel der fünf Elemente. Gemeint sind die Elemente Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde. In dieser Reihenfolge aufgezählt wird ein Schöpfungsprozess zum Ausdruck gebracht, in entgegen gesetzter Richtung aufgezählt bedeutet es Auflösung. Das Zusammenspiel und die Verflochtenheit der Elemente wird in der tibetischen Tradition als Mandala dargestellt. Der tibetische Ausdruck dafür lautet kyilkhor, das bedeutet Kreis, das Rotierende, die Rotation der Essenz, die zentrale Energie, das essenzielle Zentrum. Die grafische Darstellung eines Mandalas ist sehr einfach, nämlich ein Zentrum und vier Richtungen. Ohne ein Zentrum gibt es auch keine Richtungen, denn Richtungen lassen sich nur von einem zentralen Bezugspunkt aus definieren, daher bildet der Raum das zentrale Element. Raum ist identisch mit dem philosophischen Konzept der Leerheit. Raum und Leerheit bilden die Grundlage der Bewegung, d.h. die Bewegung kommt aus dem Raum.

Was aber bedeutet „Energie“ in diesem Zusammenhang? Energie ist Bewegung. Alle Phänomene sind in steter Bewegung. Die Bewegung als solche wird als Wind bezeichnet, der damit das Hauptelement nach dem Raum darstellt. Der Wind kann in zwei Hauptaspekte unterteilt werden: Er weht als äußeres Element, während er im Geist als Bewegung von Gedanken und Emotionen erscheint. Geht man sehr gründlich in die Tiefe, so finden sich weit mehr Details und viele verschiedene Arten von Bewegung: Unser Herz schlägt, unsere Lunge atmet, unser Verdauungssystem, das Nervensystem, der Blutkreislauf, die Muskeln etc., all diese Systeme unseres Lebens beruhen auf Bewegung. Geht man dann noch eine Ebene tiefer, so findet man z.B. in den Verdauungsorganen Mikroorganismen und Abermillionen von Zellen, die sich unaufhörlich bewegen. Die Grundlage des Gleichgewichts bildet die wiederkehrende Bewegung. Hört die Bewegung auf, so ist das der Tod. Nimmt man eine Körperzelle und dringt in ihr Inneres vor, so finden sich weitere, noch feinere Strukturen, Mineralien, Proteine etc. Geht man noch tiefer, so findet man Moleküle und dann Atome. Gehen wir sogar noch weiter in die Tiefe, so sehen wir Energie, von der niemand genau weiß, um was es sich handelt. Diese Energien sind Bewegung, sie sind wie eine Vibration. Das ist es, woraus Atome und Moleküle hervorgehen und schließlich die ganze von uns erlebte Welt mit ihren vermeintlich festen Erscheinungen. Doch obgleich sie fest erscheinen, sind sie doch ihrer inneren Natur nach nichts Festes, sondern vibrierende, sich bewegende Energie. Diese Bewegung wird in der tibetischen Beschreibung durch Lung repräsentiert, ins Deutsche übersetzt als „Wind“. So wird also Lung zwar als Wind übersetzt, doch seine Bedeutung ist Bewegung.

Der Vajrayana lehrt, dass alles Geist ist. Gemeint ist jedoch nicht unser gewöhnliches Tagesbewusstsein, das auch als Affengeist bezeichnet wird, weil es sich unentwegt von Objekt zu Objekt oder von Konzept zu Konzept hangelt, unberechenbar, nie wirklich zu Ruhe kommend. Gemeint ist eine überindividuelle Qualität oder Ebene des Bewusstseins, die über alle Konzepte und alle Begrenzungen hinausreicht. Dieses Bewusstsein entspricht dem Raum, es ist weit, klar und leuchtend, unerschütterlich, allwissend, ungeboren; es ist die grundlegende Buddhanatur. Frei von allen Begrenzungen und Konzepten ist sie die Leerheit. Sie ist leer von den Grenzen eines Selbst und sie ist gleichermaßen leer von Anderem, weil sie alles beinhaltet.

In der unermesslichen Weite dieses ursprünglichen Raumes ist die Bewegung – Wind. Zu den verschiedenen Arten Wind zählen auch die Winde des Karma, d.h. die gewohnheitsmäßigen Tendenzen, die zu einer bestimmten Erfahrung von Wirklichkeit führen. Sie können den ursprünglichen Raum niemals beeinflussen, aber sie können den Anschein erwecken, als überdeckten sie ihn. Buddhistische Praxis, das ist die Anwendung von Methoden, die alle Begrenzungen eines illusionären Selbst transzendieren, die karmischen Winde bereinigen und beruhigen und die ursprüngliche, raumgleiche Buddhanatur offenbar werden lassen.

Die Winde des Karma peitschen die Oberfläche des ozeangleichen Geistes und formen immer neue Muster aus den fließenden Elementen. Es ist ein Meer, das von gewaltigen Wellenbergen durchwogt wird. Die kleinsten Kräuselungen darauf sind die Individuen, verbunden mit etwas größeren Wellenbewegungen – das Karma von Familien -, die Teil noch größerer Wellen sind – das Karma von ethnischen Gruppen und ganzer Völker -, die sich wiederum zu riesigen Brechern formieren – das Karma eines ganzen Planeten. Wellenberg neben Wellenberg sind auch die unzähligen Weltsysteme miteinander verbunden, alle miteinander in der einen Buddhanatur.

Der von Illusionen verwirrte Geist durchläuft immer neue traumartige Zustände, vorangetrieben von den karmischen Winden. Eine Existenz endet, wenn ihr Karma zu einem Ende gelangt. Aber die karmischen Winde wehen weiter. Neue wurden entfacht, unvorstellbar alte gelangen zu voller Kraft und der Kern des Bewusstseins, das mit dem Tod seinen Namen und andere Faktoren seiner vergangenen Existenz hinter sich gelassen hat, wird vorangeweht, hinein in eine neue Existenz, die dem vorherrschenden Wind und den damit verbundenen Gewohnheiten und Emotionen entspricht. Es ist ein großes Glück, in die meist ausgewogenen Umstände einer überaus kostbaren menschlichen Existenz geboren zu werden, mit all ihren Möglichkeiten, aus dem karmischen Traumzustand erwachen zu können. Der Eintritt in die Existenz erfolgt im Augenblick der Zeugung, wenn drei Faktoren zusammentreffen: Die weiße, lunare Substanz des Vaters, die rote, solare Substanz der Mutter und der Bewusstseinskeim, der sich mit den Substanzen und dem Karma von Vater und Mutter verbindet. Aus dieser Verbindung bildet sich der karmische Körper – ein System aus subtilen Energien und Energiebahnen und Winden, durchweht und aufrechterhalten vom karmischen Wind. Im Herzen sitzt der Bewusstseinskeim, im Scheitel die lunare Essenz des Vaters und im Sexualzentrum die solare Essenz der Mutter. Zwischen der weißen und der roten Essenz weht der karmische Wind und hält sie an ihrem Ort. Gelangt die Existenz an ihr Ende, so kollabiert das System unumkehrbar, die beiden Essenzen fallen ins Herz, der Zwischenzustand des Todes setzt ein und eine Neuwerdung beginnt – sofern das Bewusstsein sich seiner wahren, raumgleichen Natur nicht vorher bewusst wird.

Die inneren und äußeren Umstände und Ereignisverläufe sind eine Widerspiegelung des Fließens der inneren subtilen Energien und des Wehens der karmischen Winde. Die Erfahrung der Sonne und ihres Verlaufs ist eine Spiegelung des Verlaufs der solaren Energie während des Tages. Die Erfahrung des Mondes und der Sterne spiegeln den Verlauf der lunaren Energie während der Nacht. Die Erfahrung des Raumes spiegelt die Grenzenlosigkeit des ursprünglichen Bewusstseins. Wohlgemerkt: Das Äußere ist Spiegelung des Inneren, nicht umgekehrt. Karma wiederum zeigt sich in den Ereignissen und Ereignisverläufen, sowie in der Art unseres Erlebens.

Der buddhistische Weg ist ein Pfad tiefgründiger Transformation. Der Körper und die Erscheinungen werden als unermesslich kostbare Manifestationen der befreienden Energien erkannt. Anders als in vielen von dualistischer Zersplitterung geprägten Sichtweisen gilt unser menschlicher Körper nicht als abzulehnende oder zu unterdrückende Unreinheit, sondern als eine schwer zu erlangende Kostbarkeit. Der Körper bildet die Grundlage unseres Erwachens in die Buddhanatur, daher muss er rein gehalten und gepflegt werden. Der Körper ist das alchemistische Gefäß, in dem die unreinen und unedlen Substanzen der karmischen Energien in das Gold der Verwirklichung umgewandelt werden. Den Körper rein zu halten und zu pflegen bedeutet, dass er angemessen gereinigt wird, dass ihm keine Giftstoffe zugeführt werden, dass er gut genährt wird, ausreichend Schlaf und Bewegung erhält, dass Exzesse aller Art vermieden werden etc. Ernähren wir uns von hochwertigen Nahrungsmitteln im natürlichen Wechsel eines gesunden Hungergefühls und daran anschließender genuss- und maßvoller Nahrungsaufnahme, so nehmen wir die Essenzen der Elemente auf und gelangen zu einem tiefen, sehr befriedigenden Gefühl der Sättigung und es fällt sehr leicht, auf alle erdenklichen Genussgifte einfach zu verzichten.

Das europäische Denken ist bis heute tiefgreifend von einem Dualismus geprägt, der das menschliche Dasein in Körper und Geist aufspaltet, wobei der Geist höher bewertet wird und dem Körper, lediglich materieller Besitz und Gebrauchsgegenstand eines vermeintlich eigenständig existierenden geistigen Selbst, mit seinen Funktionen Geringschätzung entgegen gebracht wird. Dies bildet die Grundlage für die Extreme Askese und Exzess. Die Verachtung des Körpers und der körperlichen Welt lässt uns ungeachtet der Folgen zu immer neuen Genussgiften greifen, bis wir fett und aufgedunsen vor uns hinvegetieren, mit stets überfülltem Bauch, doch unentwegtem Hunger. Oder wir verachten die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme, ernähren uns – kalorienzählend – jahrzehntelang nur mehr von Kaffee, Zigaretten, Keksen, Knäckebrot u.ä., ohne uns zu nähren. Der ausgezehrte, unterernährte Körper manifestiert Krankheiten aller Art, die wir mit Chemie zu bezwingen versuchen. Oder wir betrachten den Körper als eine Art Maschine, die wir durch verbissene Diäten und durch selbstquälerische sportliche Aktivitäten unserem Willen zu unterwerfen und zu „optimieren“ versuchen. Diese drei Beispiele offenbaren die immer gleiche tiefe Spaltung und Entfremdung gegenüber dem Körper und der natürlichen Welt.

In ähnlicher Weise wie der Körper werden auch die Stimme und der Geist rein gehalten und gepflegt. Die Stimme repräsentiert die Energie. Sie rein zu halten und zu pflegen bedeutet, nicht zu lügen, nicht in grober Weise zu reden, nicht die Stimme als Waffe zu missbrauchen, mit der man Wortprojektile auf andere abschießt, oder ihre Kraft durch Geschwätz zu zerstreuen. Der Geist wiederum wird in Qualitäten wie Mitgefühl, Achtsamkeit, Ruhe, Konzentration und Logik geschult. Auf diese Weise wird das psychophysische System immer weiter sensibilisiert und geschmeidig gemacht, um schließlich fähig zu werden, auch die subtilen Energien transformieren zu können.

All dies geschieht natürlich nicht aus Eigennutz, sondern zum Nutzen aller. Die Welt, die wir erleben, ist eine Widerspiegelung dessen, was in uns ist. Buddhismus beschränkt sich daher nicht auf die Läuterung innerer Energien, vielmehr muss mit den inneren Entwicklungen ein äußeres Handeln einhergehen. Im Buddhismus wird auf ganz verschiedenen Ebenen Entsagung geübt. Generell wird dem Unheilsamen entsagt und das Heilsame angestrebt. Das Unheilsame sind die verwirrten karmischen Sichtweisen - der Glaube an ein eigenständig existierendes Selbst und die damit verbundenen negativen Emotionen und neurotischen Zustände, die zusammengefasst werden in den drei Geistesgiften Gier, Hass und Unwissenheit oder Verblendung - und die daraus resultierenden verdrehten Arten des Handelns. Der Oberbegriff für die wahnhaften, unheilsamen Zustände ist Samsara. Die heilige Welt, in der wir uns befinden, ist in vielfacher Hinsicht kontaminiert mit den Giften Samsaras. Dies verschafft uns unendlich viele Möglichkeiten, unsere inneren heilsamen Entwicklungen in äußeres heilsames Handeln umzusetzen…

Samsara, das ist Verwirrung, Wahnsinn und Lüge. Wahrheit wird verzerrt und Verzerrungen werden zur Wahrheit erklärt. Hass und Gier werden gesät, tiefe Ignoranz wird kultiviert. Das betrifft natürlich auch den Buddhismus. Was man aber auch so alles zu lesen bekommt! Vor einiger Zeit las ich irgendwo, dass Buddhismus so furchtbar weltverneinend sei. Das zentrale Thema sei das Nichts und der Körper würde verachtet. Von Lustfeindlichkeit war gar die Rede. Gleichzeitig findet man Buddhismus mit Vegetarismus, Gewaltlosigkeit, Frieden und Meditation assoziiert. Der Umstand, dass es im Buddhismus monastische Traditionen gibt, kommt der europäischen Neigung zur Verachtung des Körpers sehr entgegen. Und natürlich gibt es weit verbreitete, durch allerlei romantisierende Kitschfotografie, Hollywooddramen und Japanromantik geprägte Vorstellungen von der Poesie des Buddhismus. Ein „richtiger“ Buddhist ist demzufolge offenbar eine Person, die als nihilistisch-asketischer Mönch oder Nonne mit brezelförmig verschlungenen Beinen herum sitzt, dann und wann ein wenig Grünzeug mümmelt, verzückt lächelnd einen Schmetterling oder eine Blume betrachtet und sich bisweilen dazu einen irgendwie poetischen Vierzeiler notiert.

Vielen Menschen scheinen derartige Vorstellungen in der einen oder anderen Weise durch den Sinn zu geistern. Ihr Glaube daran ist oft so fest, dass sie empört reagieren, wenn sie etwa erfahren, dass die Realität des Buddhismus nicht ihren Fantasien darüber entspricht, oder wenn sie vielleicht enttäuscht sind, dass ihr Lehrer nicht immer sanft und freundlich mit ihnen umgeht, oder wenn ihnen bewusst wird, dass ein Lama nicht zwingend auch ein zölibatärer Mönch sein muss. Zuweilen entwickeln sie dann sogar wilde Verschwörungstheorien, die sie als vermeintliche Enthüllungen in reißerischen Büchern veröffentlichen. Aus derlei verzerrten und verengten Vorstellungen leuchtet oft eine jahrhundertealte europäische Arroganz. Man kann ein ganzes Leben lang den Buddhismus studieren und auch nach Jahrzehnten des Studiums immer neue Aspekte und Tiefen erkunden, doch europäisches Denken liest einen Lexikoneintrag oder eine religionswissenschaftliche Zusammenfassung (und wie viel dort tatsächlich verstanden wurde, sei einmal dahingestellt), glaubt fortan alles über „den Buddhismus“ zu wissen und betrachtet dann ganz einfach die Oberfläche dieses Objektes durch die Brille präferierter Ideologien, halbverstandener christlicher Konzepte und selbst zusammengeschusterter Theorien.

Solch reduzierte Buddhismus-Klischees sind immer wieder erstaunlich: Glaubt tatsächlich irgendjemand, für so etwas seien Tempel und Stupas errichtet worden? Prinz Siddharta opferte sein luxuriöses Palastleben, umgeben von allen Annehmlichkeiten, der Suche nach Erleuchtung. Sollte man nicht annehmen, dass er mehr gesucht haben könnte, als einfach nur Passivität und Grünzeug? War er lediglich ein Luxusgeschöpf, das ein wenig Wellness gesucht hat? Oder entspannt lächelnde Körperfeindlichkeit?


Der Buddha suchte und fand die Befreiung vom Leiden. Der leidhafte Zustand der Illusion ist Samsara, also Verwirrung, Wahnsinn und Lüge mit all ihren leidhaften Verstrickungen. Heutzutage bewegen wir uns durch eine Zeit, die als Kaliyuga, das dunkle Zeitalter, bezeichnet wird. Es ist eine Zeit, in der die dämonischen Kräfte Samsaras sich zu so großer Macht ausgeweitet haben, dass es immer schwerer wird, die Wege zur Befreiung zu finden, denn selbst wenn wir einen solchen Pfad gefunden haben, werden wir von immer neuen Verwirrungen und Zweifeln geplagt. Es ist eine Zeit, in der wir auf all unseren Daseinsebenen auf immer neue Weise vergiftet und betäubt werden. Dies wiederum zieht viele sekundäre Leiden und Probleme nach sich. So sind die Vergiftungen und Verunreinigungen unserer drei Tore – des Körpers, der Stimme und des Geistes – unser primäres Problem, aber sie bewirken eine Fülle äußerer leidhafter Erfahrungen.

Gemäß der tantrisch-buddhistischen Sichtweise bewegen wir uns durch eine Welt, die von unermesslich vielen Arten empfindender Wesen bevölkert ist. Hierbei machen diejenigen Daseinswelten, die wir mit unseren Sinnen erfassen können – also die menschlichen und tierischen Existenzformen -, nur einen Bruchteil dessen aus, was tatsächlich um uns herum vorhanden ist. Der Buddhismus beschreibt darüber hinaus viele weitere, subtilere intelligente Daseinsformen, die Samsara ebenfalls bevölkern und uns umgeben. Wir interagieren mit ihnen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Da sie genau wie wir verblendete, von Leiden heimgesuchte Wesen sind, können wir ihnen durch unser blindes, unbewusstes, zutiefst ignorantes und selbstsüchtiges Dasein Schaden zufügen, was diese damit quittieren, dass sie uns vielfältige körperlichen und psychische Krankheiten schicken.

Unter den verschiedenen machtvollen Wesen bilden die Mamos (tib.) oder Matrikas (skt.) eine der wichtigsten und gefährlichsten Klassen. Ihr Name bedeutet „Mütter“ und unter den machtvollen Wesen sind sie die ältesten, denn sie repräsentieren den Aspekt des Universums, den wir als „Materie“ wahrnehmen. Wird ihr Daseinsbereich verletzt, so schicken sie Krieg und verheerende Seuchen. Insbesondere in diesem dunklen Zeitalter, in dem selbst der Vajrayana, das „Große geheime Mantra“, nicht unangetastet bleibt und von manchen in banale Zauberei, reine Psychologie oder ähnliches verzerrt wird, wird ihr legendärer Zorn entfesselt:

„Wenn die Söhne nicht mehr auf die Worte ihrer Väter hören,
eine böse Zeit, wenn Verwandte streiten,
wenn sich die Leute in schlampige Lumpen kleiden,
wenn sie sich mit schlechtem, billigem Essen ernähren,
wenn es Familienfeden und Zivilkriege gibt:
All dies provoziert den Zorn der schwarzen Mamos.
Diese vielfältigen Frauen füllen tausend Daseinsbereiche.
Sie schicken Krankheit zu Mensch und Tier.
Der Himmel ist dick erfüllt von dunklen Wolken der Krankheit.
Sie entfesseln kosmischen Krieg.
Sie vernichten, indem sie ein Zeitalter der Waffen einleiten.
Plötzlich schlagen sie die Menschen mit tödlichen, eitrig-geschwürigen Wunden.
Kühn werfen sie Hagel und Blitzschläge herab.“

Bildliche Darstellungen zeigen die Mamos meist ausgestattet mit einem Ledersack, der verschnürt ist mit einer Giftschlange. Er ist gefüllt mit Giften und Seuchen, die von den Müttern verspritzt werden, wenn ihr Zorn erregt wurde. Neue, bisher noch nicht gekannte Seuchen gelten als das Werk der Mamos. Hier liegt nach buddhistischem Verständnis z.B. auch der Ursprung von AIDS. Und um hier gleich einem ganz typischen Missverständnis entgegen zu wirken: Es geht nicht um eine individuelle Schuld, die von den Mamos bestraft wird, es geht um kollektives menschliches Fehlverhalten. Das Individuum kann sich nur darum bemühen, achtsam zu handeln und den Zorn der Mütter zu beschwichtigen.

Die Mamos insgesamt sind zwar machtvolle, jedoch samsarische Wesen wie wir. Es gibt jedoch auch unter ihnen erleuchtete Wesen. So nennen die höchsten Tantras der Nyingma-Schule oder der alten Tradition des tibetischen Buddhismus eine Mamo, die in den Rang einer überweltlichen Weisheitsdakini erhöht ist, d.h. sie ist ein im Daseinsbereich der Mamos manifestiertes erleuchtetes Wesen. Sie repräsentiert die „befreiende Zauberei“ oder den „befreienden Fluch“ (tib. mamo bötong), durch die sie die Verbindung des Praktizierenden mit der heiligen Welt beschützt. Wenn sich also z.B. ein Praktizierender des Vajrayana eine respektlose Haltung gegenüber der Heiligkeit angewöhnt, so hat dies giftige Ergebnisse zur Folge. Die Praxis dieser Meditationsgottheit ist daher ein äußerst kraftvolles Erinnerungsmittel für den Praktizierenden, um seine spirituellen Versprechen (samaya) zu stärken und seinen Sinn für die Kostbarkeit des Lebens zu schärfen.

Die Mamos bilden eine Kategorie von insgesamt acht Klassen machtvoller Wesen, die den Menschen umgeben. Die Klasse der Nagas etwa umfasst insgesamt drei Arten von Wesen, die die Gewässer und den Erdboden bevölkern. Werden sie provoziert, so bewirken sie verschiedene Hautkrankheiten, Lepra u.ä. Die anderen Klassen bewirken Lähmungen, Epilepsien, Krebs, Wahnsinn, Streit, Krieg oder auch Unfälle. Eine jede der acht Klassen repräsentiert einen Aspekt der uns umgebenden Welt und jeder dieser Aspekte ist gleichermaßen eine Spiegelung unserer inneren Beschaffenheit. Wir sind also nicht Opfer einer feindlichen, dämonischen Umwelt, sondern die von uns erlebte Umwelt spiegelt die Dämonie der in uns bestehenden Geistesgifte.

Es mag vielleicht langsam deutlich werden, dass Buddhismus weder ein Synonym für Weltabgewandtheit oder Körperfeindlichkeit, noch eine seichte Wellness-Übung ist, die der Entspannung und dem persönlichen Wohlbefinden dient. So empfiehlt etwa Dzongsar Khyentse Rinpoche solchen Menschen, die nur meditieren wollen, um sich „gut zu fühlen“, um „glücklich“ oder „entspannt“ zu sein, sie sollten doch lieber zusehen, dass sie eine Ganzkörpermassage bekommen, statt zu versuchen, den Dharma zu praktizieren.

Den Buddha-Dharma zu praktizieren bedeutet, sich einer anspruchsvollen Übung zu unterziehen, die den Geist klärt, die Achtsamkeit schärft, das Mitgefühl entwickelt, die uns dabei hilft, die dualistischen Aufspaltungen in Selbst und Andere, Ich und Welt, Zuneigung und Abneigung usw. zu überwinden und dadurch fähig zu werden, die heilige, ursprünglich reine Welt in das eigene Dasein zu integrieren. Daraus resultiert ein entsprechendes Handeln. Wird der Körper als etwas Heiliges erkannt, das die Grundlage auf dem Weg zur Erleuchtung darstellt, so wird er gepflegt und sowohl äußerlich, als auch innerlich rein gehalten. Wir werden achtsam hinsichtlich unserer Nahrung, werden fähig, Genussgifte zu erkennen und zu vermeiden, können die natürlichen Rhythmen von Ruhe und Aktivität angemessen beachten und Exzesse aller Art vermeiden. Dies hilft uns dabei, unsere Energie auszugleichen und zu harmonisieren, wodurch wiederum die Übungen des Geistes intensiviert werden und schnellere Resultate bringen. So können wir innere Zufriedenheit, Entspannung und Gelassenheit entwickeln, was zu äußerer Genügsamkeit führt. So in den mittleren Weg zwischen allen Extremen eingetreten, können wir dann auf vielen Ebenen zum Nutzen aller empfindenden Wesen handeln. Wir sind dann Teil dieser heiligen Welt und unser Handeln ist natürlich und ungekünstelt auf ihr Wohl gerichtet.

Samstag, 10. März 2012

Tulku Ajam Rinpoche: Amitabha Ermächtigung und Phowa (am 05. - 06. Mai)

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Ich bin hocherfreut, bekannt geben zu können, dass uns Tulku Ajam Rinpoche auch in diesem Jahr wieder in Göttingen besuchen wird. Er wird am 05. - 06. Mai Phowa lehren, die für den Sterbeprozess relevante Meditation der Übertragung des Bewusstseins in ein reines Buddhaland.

Uns allen ist der Tod gewiss, aber wir wissen nicht, wann er uns ereilen wird. Phowa ist eine gute Möglichkeit, sich aus den Unwägbarkeiten des Daseinskreislaufes zu retten. Rinpoche wird am ersten Maiwochenende das Phowa aus dem Termazyklus der "Himmelsschätze" (Namchö) übertragen, indem er eine Ermächtigung in Amitabha, den Buddha des ewigen Lichtes, und Erklärungen des Phowas gibt und schließlich die Praxis mit uns übt.

PROGRAMM:

Samstag, 05. 05.: Ermächtigung, Erklärungen und Praxis; Beginn 10.00 Uhr

Sonntag, 06.05.: Erklärungen und Praxis; Beginn 10.00 Uhr


TEILNAHMEGEBÜHR UND ANMELDUNG:

1. Für Frühbucher bis zum 31. März: 80,- €
2. Anmeldung bis zum 15. April: 90,- €
3. Danach 100,- €

Ermäßigung für Schüler, Studenten und Arbeitslose nach Absprache möglich.


ORT:

NaturFreundehaus Göttingen
Auf dem Hagen 38
37079 Göttingen

Es ist möglich, im Naturfreundehaus zu übernachten oder davor zu zelten. Isomatte und Schlafsack sind mitzubringen --> 10,- € pro Übernachtung


MAHLZEITEN:

Frühstück: 5,- (Naturfreundehaus)

Mittagessen: 8,- Euro (Veranstalter) ÄNDERUNG: Es ist aus organisatorischen Gründen es nun leider doch nicht möglich, dass ich das Mittagessen zubereite. Statt dessen gibt es die Möglichkeit, im Naturfreundehaus zu essen, der Preis dafür beträgt 10,- € (also 20,-€ für die beiden Tage).

Abendessen: 5,- ohne Getränke
6,- mit Getränken (Naturfreundehaus)

Das Mittagessen ist vegetarisch, alles Bio und aus der Region! Bitte angeben, ob und wenn ja welche Mahlzeiten gewünscht sind.


ANMELDUNG UND INFORMATION:

Email to --> o.ohanecian@hotmail.de
Phone --> (49)551-3706944


Zum NaturFreundehaus:

Das NaturFreundehaus liegt im Naherholgungsgebiet Kleiner Hagen, 30 Min. zu Fuß vom Bahnhof (Westseite) über Godehardtstraße, Pfalz-Grona-Breite.

Vom Bahnhof (Ausgang West) geht man zu Fuß (in ca. 30 Minuten) geradeaus unter der Brücke durch vorbei am Cinemaxx bis zum Leineufer, dann rechts an der Leine entlang bis zum Hagenweg (2. Brücke ), dann links abbiegen bis zum Schild “Naturfreundehaus”, rechts den Fußweg einbiegen und über die Eisenbahnschienen hinweg durch die Absperrung, links liegt dann das Naturfreundehaus!

Hbf. Göttingen - Ausgang Westseite auf dem Fußweg vor dem Tunnel über die Treppe zur Bushaltestelle “Bahnhofsallee” Linie 7 Richtung Holtensen bis Haltestelle “Auf dem Hagen” , rechts (in Fahrtrichtung rückwärts) den Fußweg bis zum Naturfreundehaus.

Nähere Informationen zu dem Busfahrplan der Linie 7 siehe Göttinger Verkehrsbetriebe - http://www.goevb.de/.


BAB A7, Abfahrt 72 Göttingen-Nord, Abfahrt Göttingen-Holtensen, an der Ampel links über Holtenser Landstraße, Königsallee, Ampel nach der Aral-Tankstelle links in den Hagenweg, Parkplatz 200 m links. Vom Parkplatz zur Straße zurück, rechts und gleich wieder rechts in den Weg rein, über die Eisenbahnschienen hinweg durch die Absperrung, links liegt dann das Naturfreundehaus.

siehe auch hier --> http://www.naturfreunde-goettingen.de/parts/nfh.htm


ANMELDUNG UND INFORMATION:

Email to: o.ohanecian@hotmail.de
Phone : 0551-3706944

Donnerstag, 8. März 2012

Tulku Ajam Rinpoche in Göttingen

Tulku Ajam Rinpoche wird uns auch in diesem Jahr wieder in Göttingen besuchen. Er wird am 05. - 06. Mai Phowa lehren, die für den Sterbeprozess relevante Meditation der Übertragung des Bewusstseins in ein reines Buddhaland.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

03.-05. Februar 2012: Herrin der drei Welten II

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Im zweiten Teil unseres Seminares über die Meditationsgottheit Tara befassen wir uns mit dem "Lobpreis in 21 Versen" und den 21 Aktivitäten der Tara.

Seminarbeginn ist am Freitag, 03.02., um 19.00 Uhr


Anmeldung und Information: o.ohanecian@hotmail.de

Dienstag, 13. Dezember 2011

"Zaubersalben"

Habe jetzt eine große Ladung "Zaubersalben" für die Familie zu Weihnachten fertig gemacht. Feinste Qualität, vollkommen chemiefrei, nach alten Rezepturen. Salben zur Stärkung und zum Schutz, für Entspannung, mehr Energie und Tatkraft.

Wenn jemand Salbe kaufen möchte:

1 großes Glas (ca. 90 ml) 20,- €

Informationen bei: o.ohanecian@hotmail.de

Sonntag, 11. Dezember 2011

Pema Dorje Rinpoche: Besuch verschoben

Pema Dorje Rinpoche hat seinen für Anfang kommenden Jahres angekündigten Besuch auf 2013 verschoben.

Montag, 14. November 2011

Herrin der drei Welten

„Ich glaube das, was ich sehen und anfassen kann. Das ist Realität!“ Erklärte mir einst ein Klassenkamerad in einer hitzigen Rede wider die religiösen Anschauungen und alle Fragen der Spiritualität und Metaphysik – oder dessen, was er sich darunter vorstellte. Was genau diese sinnlich greifbare Realität sei, das hatte er von seinen Eltern und Lehrern erfahren. Und wie ein entsprechend „realistischer“ Lebensweg auszusehen habe, das hatten sie ihn auch gleich gelehrt: Berufsausbildung, Bausparvertrag, Eigenheim, Ehe, Nachwuchs und schließlich Rente. Punkt. So ausgestattet mit der Rüstung des Glaubens an eine materialistische, vorherseh- und planbare Realität machte er sich auf seinen Weg in die fließende und strömende Welt, die ihn eines Besseren belehrte: Die Begegnung mit Vergänglichkeit, Verlust, Wandel, Verletzlichkeit und Tod brachte ihn zu genau den Fragen, die er früher so vehement abgelehnt hatte. Das Konzept von der materialistischen „Realität“ und dem „realistischen Lebensweg“ schließt meist die Einsicht aus, dass alles in uns und um uns herum sich in ununterbrochener Bewegung und in stetem Wandel befindet. Wie „realistisch“ ist diese Perspektive also tatsächlich?

Ich war während unserer Schulzeit solchen Reden, in die auch andere Freunde immer wieder einmal einstimmten, einigermaßen regelmäßig ausgesetzt. Diese Predigten wurden meist mit missionarischem Eifer vorgetragen und waren durchaus gut gemeint, denn als Ungläubiger musste ich offenbar vor der drohenden Verdammnis wenn schon nicht bewahrt, so doch zumindest freundschaftlich gewarnt werden. Das, was sie mir als allein gangbare Wirklichkeit aufzudrängen versuchten, war die Perspektive eines Eingekerkerten, der eine Welt außerhalb seiner Gefängnismauern für Aberglauben hält: Wirklichkeit, das sind die augenscheinlichen Formen der über die Sinne erfahrbaren materiellen Welt, in der wir innerhalb einer Lebensspanne ein einziges Menschenleben führen; unser Bewusstsein wird dabei durch die chemischen Vorgänge im Körper sozusagen aus der Materie ausgeschwitzt; unser Handeln hat keine tiefergehenden Folgen und die materielle Welt hat der Befriedigung unserer Bedürfnisse und unserem Lustgewinn zu dienen; was diese Bedürfnisse und der Lustgewinn sind, das erfahren wir aus der Werbung, den neuesten Modetrends und durch aktuelle Pop- und Filmikonen; da wir ohnehin nur für eine begrenzte Zeit zufällig aus einem Materiehaufen abgesondertes Bewusstsein in einer grundsätzlich sinnlosen Welt sind, ist es legitim, das eigene Leben auf größtmöglichen Lustgewinn und Konsum auszurichten, mögliche Folgen für nachfolgende Generationen können einem egal sein, denn man selbst ist ja dann nicht mehr da.

Ich selbst empfand angesichts solch nihilistischer Kerkerwelten stets ein gewisses Grauen. All das entsprach nicht dem, was ich als die Welt wahrnahm. Genau genommen stand es im Widerspruch zu der Welt, die ich erlebte. Die Welt war mir stets etwas, das sich innerhalb des Geistes abspielt, denn selbst wenn wir von einer sinnlich erfahrenen und sinnlich greifbaren Welt reden, so müssen wir doch fragen, wo sich diese Sinne und dieses Ergreifen wohl abspielen, wenn ein bewusster, deutender Geist abwesend ist? Wo sollte ein „Sehen und Anfassen“ stattfinden können ohne ein wahrnehmendes Bewusstsein? Im Geist aber spielt sich noch sehr viel mehr ab, als es das Dogma der materialistischen Realität wahrhaben will. Er umfasst Gedanken, Emotionen, Bilder, Träume und Symbole aller Art, die sich auf unterschiedlichste Weise ausdrücken. Somit ist aber den Dogmen der materialistischen Weltanschauung kein grundsätzlich größerer Wahrheitsgehalt einzuräumen, als anderen Ausdrucksformen des Bewusstseins.

Es war nicht so, dass ich etwa mit meinen eigenen ketzerischen Ansichten hausieren gegangen wäre, die vor allem darin bestanden, dass ich die Kerkerwelt der versklavenden Ideen für wahnhaft hielt. Aber meine Unfähigkeit, den Glauben an „die Realität“ zu teilen, und meine darauf gründende Neigung, derartige Vorstellungen in Frage zu stellen, war bekannt. Dieses Konzept der materialistisch-ökonomischen „Realität“ erschien mir wie ein Ornament auf einer aus kulturell tradierten Meinungen gewobenen chloroformgetränkten Decke, die irgendein böswilliger Teufel uns überzustülpen versucht, um den freien und erkennenden Geist zu betäuben. Das Chloroform, durch das wir in eine so tiefe, von immer neuen wahnhaften Fantasien durchzogene Bewusstlosigkeit fallen, besteht aus den als real empfundenen Zuständen Zerstreutheit, Gier, Abneigung, Eitelkeit und einer tiefen Ignoranz. Der Buddhismus bezeichnet diesen Schleier aus sich gegenseitig bedingenden betäubenden Zuständen und Wahnvorstellungen, der uns vom Erkennen des So-Seins der Welt und unserer eigenen Natur trennt, als Samsara.

Doch das Gewebe dieser teuflischen Decke kann Risse bekommen. Geschieht das, so erhaschen wir einen Blick auf andere Seiten der Wirklichkeit. Mir passierte dies seit meiner Kindheit als immer wiederkehrende Erfahrung, die verhinderte, dass sich die Chloroformdecke zu vermeintlicher Gewissheit verdichten konnte. Die Welt war mir die Erfahrung einer ozeanischen Tiefe aus unermesslicher Weite, strömenden Kräften und sich manifestierenden und wieder transformierenden Formen. Durchdrungen war diese wogende und wirbelnde Unermesslichkeit von einem klaren Bewusstsein. In vorläufiger Ermangelung eines besseren Begriffes nannte ich das zunächst „Gott“.

Familien unterstützen oder behindern Kinder in ihrer Entwicklung. Ich selbst hatte in der Hinsicht viel Glück mit meiner Familie und einigen sehr engen Freunden, denn ich hatte Möglichkeiten, über meine Erlebnisse zu berichten und erhielt im Lauf der Zeit Konzepte und Bilder, um die Erfahrungen sprachlich fassen und ausdrücken zu können. Teil meiner Erziehung war zudem auch das Lesen antiker Sagen und Mythen. Dadurch trat mir aus meiner Erfahrung der unermesslichen Absolutheit eine Gestalt entgegen, deren Führung ich mich anvertraute: Hekate.

Hekate ist die saffrangewandete, strahlend schöne Göttin, die über die drei Welten herrscht: Den Himmel, den Ozean und die Erde. In dieser Dreiheit fand ich meine eigene Erfahrung wieder: Den grenzenlosen Raum, das Wogen der Energie und die Manifestation der sich transformierenden Erscheinungen – drei zu einer großen Sphäre verbundene Welten, durchdrungen und beherrscht von diamantgleicher klarer Bewusstheit. Hekate ist eine überweltliche Gottheit, die sich in der Welt zeigt, jedoch nicht von der Welt ist. Daher schildern die alten Mythen den Respekt, den die anderen Götter und selbst Göttervater Zeus ihr entgegenbringen, denn sie sind weltliche Götter, Wesen die Hekates Herrschaftsbereiche bevölkern. Sie wird als Jungfrau bezeichnet, denn sie wurde mit keinem Gott vermählt, vielmehr wählt sie sich ihre Gefährten selbst und ist keiner anderen Gottheit untertan. Sie ist die nächtliche Sonne, die zur Nachtzeit die Unterwelt durchwandert, d.h. sie verkörpert nicht den Intellekt des Tagesbewusstseins, sondern Erkenntnis und Weisheit, die alle Konzepte des Intellektes überschreiten und auch über das Reich der Totengeister, Ahnen und Träume herrschen. Ihre Insignien zeigen weitere Einflussbereiche an. Die zwei Fackeln repräsentieren die zwei Arten der Weisheit: Die Weisheit der geschulten Intelligenz und die Weisheit der höchsten Erkenntnis. Die Hunde oder Wölfe zeigen sie als machtvolle Schützerin, die Schlangen zeigen ihre Herrschaft über die unterirdischen Reiche und die Gewässer, deren machtvolle Herrscher die Hüter vieler geistiger und materieller Schätze sind; der Schlüssel drückt aus, dass sie Hüterin der Mysterien ist; ihr Beiname Atropaia (das Böse Fernhaltende), sowie die Geißel, die Schlinge und der Dolch zeigen ihre Kraft, Böses und Unheil aller Art abzuwehren, zu binden und zu durchtrennen; die Mondsichel zeigt ihre Herrschaft über die illusionären Formen, der Granatapfel und der Stier die Herrschaft über den Tod. Als Triformis, die dreifaltige Göttin, ist sie Herrscherin der drei Welten und drei Zeiten, als Brimo ist sie die Furchteinflößende. Sie ist die Himmlische (Ourania) und die Weltseele, und als solcherart überweltliche Weisheitsgöttin ist sie Soteira, die Befreierin.

Sie ist auch Propolos, die Führerin, und Kourotrophos, die Pflegende – und einer solch fürsorglichen, überwältigend schönen und umfassend kompetenten Manifestation klaren Geistes und höchster Bewusstheit, die mir durch den Riss im Gewebe aus Täuschung und Lüge entgegen strahlte, vertraute ich mich gerne an. Sie führte mich durch vielerlei Untiefen hin zu den tantrischen Lehren des Vajrayana-Buddhismus, wo ich auf eine ungebrochene authentische Lehrüberlieferung stieß, in der ich meine Erfahrungen und Sichtweisen in vollkommener Weise beschrieben fand. Kleidukos, die Schlüsseltragende, hatte mich vorbereitet und mir nun die wichtigsten Mysterien eröffnet; Propylaia, die Torhüterin, gewährte mir Zugang zu Lehren, die mich genau dort abholten, wo ich war, und mir präzise Anweisungen zu meiner schnellen Weiterentwicklung gaben. Und erneut zeigte sich Hekate auch in diesem Kontext.

Unter allen Gottheiten des tantrischen Buddhismus ist Tara die beliebteste. Ihr Name könnte „Stern“ bedeuten, doch wird er nahezu immer als „Befreierin“ interpretiert, als „Sie, die hinüber führt“. So sagt sie in dem Text Die Hundertacht Namen über sich selbst:

Ich, oh Herr, werde die Wesen hinüberführen

Über die große Flut ihrer vielfältigen Ängste;

Daher besingen mich die bedeutenden Seher

In der Welt unter dem Namen Tara.

Sie erlangte diesen Namen, weil sie unermesslich viele Wesen aus Samsara befreit und in den erhabenen Seinszustand der Bodhisattvas überführt hat. So verkörpert sie den schnellen Weg zur Erleuchtung und höchsten Weisheit. Nun war allerdings selbst im mittelalterlichen Indien nur eine kleine Minderheit von Menschen wirklich und ernsthaft daran interessiert, Befreiung aus Samsara zu suchen. Ihre große Popularität erlangte sie dadurch, dass sie auch weltliche Errungenschaften anbot, allen voran der Schutz vor den acht großen Ängsten oder Gefahren: Löwen, Elefanten, Feuer, Schlangen, Räuber, Gefangenschaft, Wasser (oder auch Schiffbruch) und menschenfressende Dämonen. Diese Liste wird auch symbolisch als Ausdruck der acht spirituellen Gefahren interpretiert: Stolz, Wahn, Zorn, Neid, falsche Sichtweisen, Gier, Anhaftung und Zweifel. Doch Taras Schutz und ihre Aktivitäten reichen noch sehr viel weiter.

Weithin bekannt sind ihre Erscheinungsformen als grüne und weiße Tara, wobei die grüne Form die schnellen und präzisen Aktivitäten der erleuchteten Wesen repräsentiert, während Taras weiße, mit sieben Augen versehene Form alle Ebenen unseres Daseins überschaut und die Gabe der Langlebigkeit verkörpert. Weniger bekannt dagegen ist der Umstand, dass es noch sehr viel mehr Erscheinungsformen gibt, die sämtliche Ebenen tantrischer Belehrung, Praxis und Verwirklichung umfassen. Zusammengefasst werden sie im berühmten Lobpreis in 21 Versen, der 21 Aspekte und Aktivitäten Taras preist. Sie ist diejenige, die den Verstand schärft und die Erkenntnis des gnostischen Gewahrseins hervorruft, die die machtvollen Wirkungen verdienstvoller Handlungen verstärkt und die Lebenskräfte sammelt, die Gesundheit und Langlebigkeit schenkt, die Dämonen unterwirft, Flüche bricht und die Wirkungen übelwollender Zauberei auf ihren Ursprung zurückwirft. Sie ist diejenige, die vor dem Hindernis der Armut bewahrt und vor Vergiftung schützt, die über die verschiedenen Klassen der Götter, Geister und Dämonen herrscht und über die Elemente gebietet. Sie ist die Göttin der Natur mit all ihren Pflanzen und Tieren, die Königin der drei Welten und die Mutter aller Erwachten.

Meist wird sie als indische Prinzessin gezeigt, reich geschmückt mit Seide, Gold, Juwelen und Blumen, umgeben von duftenden Kräutern und thronend auf Sonne und Mond. Dementsprechend befremdlich wirkt es auf manche Betrachter, wenn sie die geheimeren Abbildungen der extrem wilden Erscheinungsformen Taras, geschmückt mit Menschenhäuten und Schädelketten, zu Gesicht bekommen oder wenn sie erfahren, dass Tara in der tantrischen Überlieferung der Hindus einer der furchteinflößendsten Aspekte Kalis ist. In einer ihrer geheimsten und machtvollsten Manifestationen als Schützerin erscheint sie als die Blaue Wölfin. Das Mantra dieser überwältigend starken Schützerin ist so stark, dass es jenen, die nicht durch Tara-Praxis angemessen vorbereitet sind, allein schon dadurch schaden könnte, dass sie es nur sehen. Allerdings sind all diese Formen natürlich keine Abbildung einer genau so existierenden Gestalt, sondern symbolischer Ausdruck großer Kräfte und verschiedener Wirkungen auf den wahrnehmenden Geist.

Die überwältigende Selbstoffenbarung des Absoluten bewirkt im verblendeten Bewusstsein stets ein vollendetes Grauen, daher werden etwa in der christlichen Tradition Begegnungen mit Engeln, die gemäß Dionysius die „Gedanken Gottes“ sind, mit der vielsagenden Aufforderung „Fürchte Dich nicht!“ eingeleitet. In der tantrischen Tradition wird die furchteinflößende Ungebundenheit und Kraft des Absoluten in entsprechenden Bildern zum Ausdruck gebracht. Sind wir unter dem Einfluss all unserer inneren Dämonen, unserer erbarmungslosen Selbstsucht, unserer Gier, unseres Hasses und nicht zuletzt unserer selbstgefälligen Unwissenheit zu sprödem Ego-Eis erstarrt, so wird uns die gleißende Sonne des Mitgefühls und der Erkenntnis mit Grauen erfüllen. Aber Tara ist die große Mutter aller Erwachten. Sie ist die Mutter der erhabensten Qualitäten und des höchsten Potenzials, das uns allen innewohnt. Wenn sie aber die Mutter ist, deren innerste Qualität höchstes Mitgefühl und ungeteilte Liebe ist, wie sollte sie uns Furcht einflößen, wenn wir sie tatsächlich mit den Augen eines Kindes sehen? Ein kleines Kind wird seine liebende und mitfühlende Mutter als wunderschönes Wesen wahrnehmen und seine liebende und vertrauensvolle Hingabe an die Mutter wird ihre Beziehung zueinander noch vertiefen. Egal, wie hässlich diese Mutter in den Augen der zu Ego-Eis erstarrten und unter chloroformgetränkten Konzeptdecken betäubten Wesen erscheinen mag, in den Augen ihres Kindes ist sie eine wunderschöne Prinzessin, geschmückt mit Seide, Gold, Juwelen und Blumen.

Tara ist eine Gottheit, die sich in den Erscheinungen der Welt offenbart. Auf einer allgemeinen äußeren Ebene ist sie die Herrin des ganzen Universums. Auf dieser Ebene ist sie eng verbunden mit der Erde und der Welt der Pflanzen, Tiere und Menschen. Dies wird vor allem in ihrer Erscheinung als grüne Khadiravani-Tara, die Tara des Akazienwaldes, zum Ausdruck gebracht. In dieser Erscheinungsform wird sie oft in Begleitung von zwei weiteren Tara-Manifestationen gezeigt, nämlich die goldene Marici, die Erscheinung Taras als Sonne und Tag, und die schwarzblaue Ekajata, Tara als Nacht. Auf dieser Ebene kontrolliert sie die Phänomene der Erscheinungswelt und gewährt Schutz vor allen Gefahren. Auf einer inneren Ebene wiederum kontrolliert und bereinigt sie all die geistigen und emotionalen Verdunkelungen, durch die die empfindenden Wesen in das große Rad der Wiedergeburt gezwungen werden. Nach der Einweihung durch einen Meister oder eine Meisterin können Praktizierende des Vajrayana durch Selbstidentifikation mit der Göttin ihr Dasein transformieren und schließlich den Zustand der Vollendung erreichen, indem sie Taras Qualitäten verwirklichen.

Tara ist die Herrin der drei Welten: Der Tiefe des Raumes, des Ozeans der wogenden Kräfte und des Erdenreichs der sich manifestierenden und transformierenden Formen. Sie ist die Befreierin, die die Wesen zu den Mysterien höchster Erkenntnis geleitet und sie vor Bösem bewahrt. Sie ist die Pflegende, die sich voll Mitgefühl um das Wohl der Wesen kümmert und keiner anderen Gottheit untertan ist. Sie herrscht über die Unterwelt der Totengeister, Ahnen und Träume, über das Reich der Erde und die Weite des Himmels.



Mehr zu diesem Thema in der Seminarreihe "Herrin der drei Welten": http://uhanek.twoday.net/stories/38798141/


HINWEIS:

Tara-Ermächtigung mit Lama Yeshe Zangmo http://uhanek.twoday.net/stories/38770274/

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Seminar 2.-4. Dezember 2011: Herrin der drei Welten - zur Praxis der Tara

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Tara, die Retterin, ist unter den Gottheiten des tibetischen Buddhismus die Meistgeliebte. Sie ist die Mutter aller Buddhas, eine buddhistische Manifestation der großen Muttergöttin, die alle Stufen der tantrischen Praxis umfasst. Als Bodhisattva trotzte sie einer patriarchalen Tradition, indem sie in weiblicher Form die höchste Verwirklichung erlangte; als Große Mutter ist sie eng verwandt mit Gottheiten wie Artemis, Inanna und insbesondere Hekate; als tantrische Gottheit handelt sie mit ungehinderter Schnelligkeit, um den Wesen in Not zu Hilfe zu eilen und die Wünsche ihrer Verehrer zu erfüllen.

Ziel des Wochenendseminares ist eine erste Annäherung an die Grundlagen der Tara-Praxis. Wer ist Tara? Was sind die 21 Taras? Warum gibt es verschiedene ikonographische Darstellungen? Was verbindet Tara mit Gottheiten wie Kali oder Hekate? Wie kann ich meinen Alltag und meine spirituelle Praxis miteinander verbinden? Um solche und ähnliche Fragen zu beantworten, werden wir uns mit historischen und philosophischen Hintergründen befassen und uns auch gemeinsam in der Meditationspraxis üben.

Das Seminar wird eine umfassende Einführung in die buddhistische Meditationspraxis der Tara.


ABLAUF:

Wir beginnen am Freitagabend um 19.00 Uhr mit einem gemeinsamen Abendessen.

Freitag
19.00 Uhr - ca. 22.30 Uhr

Samstag
9.30 Uhr - 12.00 Uhr

Mittagessen und Pause

15.00 Uhr - 17.30 Uhr

Abendessen

ca. 18.30 Uhr - nach Absprache noch eine gemeinsame Praxissitzung


Sonntag
9.30 Uhr - ca. 13.00 Uhr

Mittagessen und Schluss



TEILNAHMEGEBÜHR UND ANMELDUNG:

1. Für Frühbucher bis zum 21. Oktober: 90,- €
2. Anmeldung bis zum 11. November: 100,- €
3. Danach 120,- €



ANMELDUNG UND INFORMATION:

Email to: o.ohanecian@hotmail.de
Phone : 0551-3706944

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